Es gibt Geschichten, die schreibt man nicht freiwillig – aber sie machen einen zu dem Menschen, der man heute ist.
Ich bin Erik, 50 Jahre alt, lebe in Winterthur und teile mein Leben mit Kasimir – meinem alten Labrador, der mich oft besser versteht als jeder Mensch.
Ich bin durch mehr Täler gewandert, als mir lieb ist: ein Coming-out, das mein Leben auf den Kopf stellte. Ein Burnout mit dem Abgrund als Aussicht. Eine Depression, die sich schleichend festsetzte. Ich flüchtete in den Sport – suchte Kontrolle über meinen Körper, meinen Alltag, mein Selbstwertgefühl. Ich wurde stark – äusserlich. Und süchtig danach.
Doch irgendwann sagte der Körper: Schluss. Und ohne den Sport begann mein Selbstwertgefühl zu bröckeln. Die Depression hatte mich wieder fest im Griff.
Dann kam sie: eine schwerwiegende medizinische Fehldiagnose – ein Satz, der mein Leben erneut aus der Bahn warf. Dann kamen die Drogen ins Spiel. Kein Plan, kein Halt – also warum nicht.
Die Diagnosen gingen. Die Abhängigkeit blieb. Sie zog alles mit sich: Lohnpfändungen, Betreibungen, Wohnungsverlust. Und vor allem: Einsamkeit. Die Sorte Einsamkeit, bei der du merkst, dass viele nur bleiben, solange du gut funktionierst – und verschwinden, wenn’s unbequem wird.
Aus dieser Zeit entwickelte sich eine Angststörung. Existenzängste wurden zu ständigen Begleitern, manchmal aus dem Nichts. Ohne Vorwarnung. Ohne klaren Auslöser. Aber ich erkenne die Frühzeichen – und habe Gegenstrategien entwickelt, um gar nicht erst in den Strudel hineinzurutschen.
Heute bin ich offiziell zu 100 % invalid – ein Etikett, das nicht zu mir passt. Und das ich trotzdem tragen muss. Ich investiere die verbleibende Kraft in etwas Sinnhaftes: Peer-Arbeit mit Beteiligung und Herz. Und auch, um mich Schritt für Schritt aus der Rente zurück ins Arbeitsleben zu kämpfen.
Ich bin überzeugt, dass ich all das nicht „einfach so“ erlebt habe. Vielleicht war es genau dieser Weg, der mich heute befähigt, als Peer-Coach da zu sein. Nicht perfekt, nicht allwissend – aber mit echtem Verständnis für das, was schwer auszuhalten ist.
Ich kenn das alles: IV, SVA, RAV, Wiedereingliederung. Formulare, Fristen, Fragen – aber niemand hört zu. Wenn man sich bemüht, aber trotzdem zwischen die Mühlen gerät. Diese Hilflosigkeit – sie ist real. Und genau da beginnt Peer-Arbeit: Dort, wo Menschen nicht verwaltet, sondern verstanden werden wollen.